Der Ortsverein Mistelbach der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands durchlebte in seiner nunmehr 110-jährigen Geschichte nicht nur einen wesentlichen Teil der Geschichte der Sozialdemokratie, sondern hatte in diesen Jahren auch Anteil an dem Auf und Ab der Geschichte unseres Volkes. Heute fällt es schwer alle Daten unserer Ortsvereinsgeschichte zusammenzustellen, da die meisten Unterlagen im dritten Reich verloren gingen. Die Geschichte der Sozialdemokratie ist geprägt von Verfolgungen und Drangsalierungen. Die SPD der Anfangsjahre war von ihrem Ursprung an eine Kampfbewegung, die sich gegen den politischen Unterstand das soziale Unrecht und die Zwecklüge zur Wehr setzte. In dieser Zeit stieg die SPD von der Sekte zur Volkspartei auf, wurde sie groß und stark.
Der demokratische Sozialismus in Deutschland hat seine geistigen Wurzeln im Christentum und in der humanistischen Philosophie, in der Aufklärung, in Marxscher Geschichts- und Gesellschaftslehre und in den Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Die Ideen der Frauenbefreiung sind bereits im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung aufgenommen und weiterentwickelt worden.
Fortschrittliche und mutige Männer
Die Gründung der Mistelbacher SPD erfolgte vor dem Hintergrund des am 19. Oktober 1878 vom damaligen Reichstag angenommenen berüchtigten Ausnahmegesetzes, “gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie”. Bismarck glaubte, dem demokratischen Sozialismus, der sich um eine freiheitliche, soziale und politische Rechts- und Lebensordnung bemühte, einen entscheidenden Schlag versetzt zu haben. Bismarck hatte sich getäuscht, trotz der Verfolgung, Behinderungen und wirtschaftlicher Ächtung erstarkte die SPD.
Auch in Mistelbach fanden sich fortschrittliche, mutige Männer. 1890 gründete sich der Arbeiterverein, um besonders die wirtschaftliche Not zu lindern. 1902 regte der Vorstand dieses Vereines, Johann Hauenstein, in dem etwa 600 Einwohner großen Mistelbach die Gründung des SPD-Ortsvereins an. Der damals gegründete Arbeiterverein existiert auch heute noch. Vorsitzender ist der langjährige SPD-Ortsvereinsvorsitzende und Gemeinderat Kurt Mann.
Seitdem ist auch bei uns eine politische Kraft den langen und beschwerlichen Weg der Sozialdemokraten mitgegangen, deren offizieller Auftritt auf der politischen Bühne Mistelbachs vor etwa 110 Jahren, am 10 Oktober 1902, beim "Beckenhans", in der jetzigen Gaststätte Bergschloss stattfand.
Aus dem Leben der Gemeinde Mistelbach waren die Sozialdemokraten nicht mehr fortzudenken. Viele politische Gruppierungen sind seitdem auf - und wieder abgetreten. Die SPD in Deutschland und auch in Mistelbach ist geblieben, sie brauchte nie ihren Namen ändern, weil das Ziel, das sie sich zu erreichen setzte, bis heute das gleiche geblieben ist.
Bei der Gründung tauchten die damals überall üblichen Schwierigkeiten auf. ,,Vaterlandslose Gesellen” war die geringste der Verleumdungen, Drohungen und Schikanen.
Die Männer, die damals Mut und Tatkraft bewiesen, verdienen es einzeln genannt zu werden:
Hauenstein Johann Nr. 29, Maisel Georg Nr. 49a, Stahlmann Hans Nr. 81, Tröger Johann Nr. 32, Schiller Johann Nr. 29, Hertel Konrad Nr. 52, Linz Hans-Georg Nr. 81, Tröger Fritz Nr. 73, Schiller Johann Nr. 61, Tröger Johann Nr. 56, Ruckriegel Georg Nr. 62 und Bär Simon Nr. 67.
Zum ersten Vorsitzenden wurde Georg Maisel Nr.49a, zum 1. Kassier Hans Stahlmann Nr.81 und zum 1. Schriftführer Johann Tröger gewählt.
Erste bittere Erfahrungen:
Der damalige Gemeinderat versuchte mit allen Mitteln den neuen Ortsverein zu unterdrücken. Den Genossen, die nicht Hausbesitzer waren, wurde erklärt, dass sie kein Bürgerrecht und damit kein Wahlrecht hätten. So mussten diese tatkräftigen Männer sich das Bürgerrecht mit Wahlrecht für den damals recht hohen Preis von 11,34 RM kaufen. Wie groß der Idealismus und die Opferbereitschaft waren, bewies Simon Bär, der als gebürtiger Pettendorfer die damals fast unerschwingliche Summe von 43,50 RM bezahlen musste.
All diesen Männern mit ihren Familien gebührt heute besonderer Dank, denn sie allein waren es, die das allgemeine und freie Wahlrecht erkämpften, die Ungleichheit beseitigten und letztlich dazu beitrugen, das nach dem ersten Weltkrieg die Sozialdemokraten das Wahlrecht für Frauen einführen konnten.
Unser Ortsverein hatte damals zwei kräftige Mitstreiter und Fürsprecher:
Den späteren Reichstagsabgeordneten Karl Hugel und den späteren Staatssekretär und MdL Hans Gentner. Sie erstritten die Rückzahlung der zu viel bezahlten Wahlrechtsgebühren, die statt 11,34 nur 1,34 RM betrugen.
Der damalige Bürgermeister sprach in seiner Empörung von Ortsschädlingen, aber auch er konnte weder in Mistelbach noch sonst wo den Aufstieg der SPD hemmen.